Bereitschaft zum Klimaschutz höher als gedacht
Quelle: Our World in Data mit Daten von Andre et al.
Warum wir Unterstützung für Klimaschutz von anderen oft unterschätzen
Viele von uns unterschätzen, wie groß die gesellschaftliche Unterstützung für Klimaschutz wirklich ist. Wir glauben, mit unseren Überzeugungen in der Minderheit zu sein – obwohl wir in Wahrheit Teil einer stillen Mehrheit sind. Dieses sozialpsychologische Phänomen nennt sich pluralistische Ignoranz – oder einfacher: Gruppenblindheit.
Warum ist das so?
Schon 1931 beschrieben die Sozialpsychologen Floyd Allport und Daniel Katz, dass Menschen sich in der Öffentlichkeit anders verhalten, als sie es privat für richtig halten – weil sie sich an der vermeintlichen Mehrheitsmeinung orientieren.
Dieses Verhalten zeigt sich heute ganz konkret in der aktuellen Debatte um Klimaschutzmaßnahmen. Was glauben Sie, ist die Mehrheit der Deutschen froh über den Ausstieg aus den fossilen Energien und befürwortet entsprechend Windkraftanlagen? Oder überwiegt – wie es die Wahlkampfparolen einiger Parteien suggerieren – die Ablehnung gegenüber Windkraftanlagen?
In einer repräsentativen Befragung schätzten die Befragten, dass nur rund ein Drittel der Deutschen (32 Prozent) den Ausbau von Windenergie vor Ort befürwortet. Tatsächlich sind es laut der gleichen Befragung mehr als die Hälfte – ganze 59 Prozent.
Auch international ist dieser Effekt messbar. Die Grafik auf dieser Seite zeigt die Abweichung. In einer globalen Studie, veröffentlicht in der Zeitschrift Nature Climate Change, wurden über 130.000 Menschen in 125 Ländern die gleichen zwei Fragen gestellt:
- Wären Sie bereit, jeden Monat ein Prozent Ihres Einkommens für den Kampf gegen die Erderhitzung herzugeben?
- Was schätzen Sie, von 100 befragten Menschen in Ihrem Land: Wie viele geben an, dass sie dazu bereit sind?
Das Ergebnis fällt ähnlich aus wie schon beim deutschen Forschungsprojekt Ariadne: 69 Prozent der Menschen weltweit antworteten, dass sie bereit wären, ihr Einkommen zum Teil für den Klimaschutz herzugeben. Dahingegen schätzten nur 43 Prozent der Menschen, dass ihre Mitmenschen ebenfalls dazu bereit wären. Das heißt: Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, den Klimaschutz persönlich mitfinanzieren zu wollen – unterschätzten aber die Bereitschaft dazu bei anderen.
Wie die Gruppenblindheit zum Problem wird
Diese systematische Unterschätzung hat weitreichende Folgen. Denn wir Menschen sind soziale Wesen. Wir orientieren uns nicht nur an Fakten, sondern auch daran, was wir für die Meinung der Mehrheit halten.
Wenn wir glauben, dass Klimaschutz unbeliebt ist, halten wir uns zurück. Wir reden weniger darüber. Wir stimmen nicht dafür. Und im schlimmsten Fall übernehmen wir sogar eine Haltung, die wir gar nicht vertreten – nur um nicht aufzufallen.
So entsteht ein Teufelskreis: Ein falsches Bild von der Gesellschaft wird zur gesellschaftlichen Realität. Die Folge? Weniger Engagement. Weniger politischer Mut. Und ein eklatanter Verlust an Veränderungskraft.
Und jetzt?
Diese Dynamik könnte auch erklären, warum politische Entscheidungsträger trotz zunehmender Warnungen und dem Eintreten von Katastrophen-Ereignissen weiterhin zögern, konsequente Klimapolitik umzusetzen: Weil sie den gesellschaftlichen Rückhalt ihrer Wählerinnen und Wähler unterschätzen. Oder den Willen von Unternehmen, ihr Handeln und ihre Investitionen zu verändern, wenn andere ebenfalls mitziehen.
Diese sozialen Effekte liefern also einen weiteren guten Grund für Corporate Political Responsibility. Wir brauchen Dialog und offene Kommunikation, um Handlungsräume zu erkennen und kollektiv zu handeln.